Rhein-Neckar-Zeitung: Museum Sammlung Prinzhorn zeigt Ausstellung „NORMAL#VERRÜCKT“
Quelle
Autor
Matthias Roth
Datum
17. Mai 2025
Zugehöriges Förderprojekt
Was Verrücktsein wirklich bedeutet. Ergebnisse einer Forschungsarbeit zur aktuellen Bestimmung ungewöhnlicher Verhaltensweisen werden präsentiert.

Heidelberg. Bisher stellte die Heidelberger Sammlung Prinzhorn keine so grundsätzlichen Fragen wie „Was ist eigentlich ‚verrückt‘?“ Gerade heute scheint dieses Terrain besonders vermint, da ungewöhnliche Verhaltensweisen schnell den Stempel einer pathologischen Ursache erhalten: Bin ich nur müde, oder ist es schon ein Burnout?
Dass Stress auf Dauer krank macht, scheint Konsens zu sein. Aber ist Stressfreiheit auch ein Krankheitszustand? Egal, ob ein Kind dem Schulunterricht arg unkonzentriert folgt oder jemand länger als üblich um einen Verstorbenen trauert: Dr. Google hat für alles eine Erklärung, ja meist sogar ein Medikament parat, mit dem man solchen „Symptomen“ abhelfen kann.
Ist nicht „verrückt“ das neue „normal“? Die Sammlung Prinzhorn präsentiert mit der Ausstellung „Normal#verrückt – Zeitgeschichte einer erodierenden Differenz“ jetzt die Ergebnisse der dreijährigen Forschungsarbeit eines interdisziplinären, 21-köpfigen Teams, darunter der Medizin-Ethiker Volker Hess (Charité Berlin), dessen Düsseldorfer Kollege Heiner Fangerau und Maike Rotzoll, Fachärztin für Psychiatrie und Medizinhistorikerin an der Universität Marburg (früher Heidelberg).
Thomas Röske, der Direktor des Museums Sammlung Prinzhorn, wies bei der Pressekonferenz zur Ausstellung zusammen mit Maike Rotzoll wiederholt darauf hin, dass sich das Heidelberger Museum immer in der Doppelfunktion als öffentliche Präsentation und Forschungsinstitut verstanden hat. Schließlich ist die Sammlung ja aus einem Forschungsinteresse heraus entstanden. So sei auch die neue Ausstellung „pars pro toto dessen, was hier auch sonst gezeigt wird“.
Zu sehen sind kaum Bild- oder Skulpturenwerke psychisch kranker Menschen, sondern es wird mit wissenschaftlicher Akribie der Frage nachgegangen, wo die Grenze zwischen Verrücktheit und Normalität, krankhafter Andersartigkeit und exaltierter Mode verläuft.
Es geht auch darum, ob sich diese Trennlinie möglicherweise verschoben hat: An acht Objekten und einem Werk aus der eigenen Sammlung soll gezeigt werden, dass strenge Definitionen durchaus Veränderungen unterliegen. „Die Dichotomie ‚normal/verrückt‘ funktioniert heute nicht mehr“, stellt Maike Rotzoll fest, „das ist eine vertraute Gewissheit, die man aufgeben muss.“
Im Hauptraum des Museums sind die Objekte mit kurzen Erläuterungen zu Herkunft und Hintergrund zu sehen, auf der Galerie finden sich dazu weitere, detaillierte Erklärungen. So erinnert ein Pelzmantel an einen alkoholisierten Dieb, der 1970 zunächst zu einer Freiheitsstrafe, dann aber zur Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt verurteilt wurde. Erst 1985 wurde der Täter „bedingt“ entlassen. Der Fall ging lange durch die Presse.
Auch ein originaler Berliner „Spritzenautomat“, der Drogenabhängigen sauberes „Besteck“ zur Verfügung stellte, thematisiert den Umgang mit Alkohol- und Drogenmissbrauch – wo heute schon das vermehrte Verlangen nach Süßigkeiten als „Sucht“, also Krankheit, empfunden wird.
Ein geschnitzter „Talking Stick“ aus Niger/Afrika und ein „Wutkissen“ aus der feministischen Therapie der Siebziger Jahre zeigen Methoden zur Überwindung von Ängsten und Aversionen: So sollten Frauen auf das Kissen trommeln, um sich gegen die „Männerherrschaft“ zur Wehr zu setzen. Denn: „Frauen seien dazu erzogen worden, keine Aggression zu zeigen und entwickelten so selbstschädigende Verhaltensweisen wie Schuldgefühle oder Depressionen.“
Im Briefwechsel des Heidelberger Psychiaters Hubertus Tellenbach mit dem Zürcher Psychoanalytiker Paul Parin geht es um die Frage, ob es eine weltumspannende Definition von „Verrücktheit“ gebe, oder ob kulturelle und soziale Einflüsse für unterschiedliche Auffassungen sorgen.
Interessant auch der Matrizendrucker als Beispiel einer „(Selbst-)Ermächtigung durch Flugblätter“, wie sie das „Sozialistische Patientenkollektiv“ in Heidelberg benutzte, um „Patienten-Infos“ zu verbreiten.
Neben dieser Ausstellung wurde auch die Präsentation der Prinzhorn-Sammlung selbst neu gestaltet: Besonders ein Raum mit Arbeiten von August Natterer ist bemerkenswert, denn hier wird sein berühmtes Vexierbild „Hexenkopf“ per Knopfdruck einmal von vorn und einmal von hinten beleuchtet, was sein Erscheinungsbild frappierend verändert.